Epoche DDR

1949–1990

Im Jahr 1972 informiert das Greifswalder Personalbüro der Reichsbahn die Stadt über Bahnmitarbeiter, die der „Zugehörigkeit zu solchen Kreisen“ – zu homosexuellen Klubs und Netzwerken – verdächtigt werden. Die betreffenden Mitarbeiter wurden befragt und offenbar aufgefordert, eine schriftliche Erklärung zu den „Vorwürfen“ abzuliefern.

Das ‚Engagement‘ vonseiten der Bahn verwundert: Denn sexuelle Kontakte zwischen erwachsenen homosexuellen Männern sind zu diesem Zeitpunkt in der DDR nicht mehr strafbar. Der im Nationalsozialismus verschärfte Strafrechtsparagraf 175 wurde im Zuge mehrerer Rechtsreformen abgeschwächt und 1968 schließlich abgeschafft. Bis dahin mussten schwule Männer eine Strafverfolgung und Verurteilung gemäß Paragraf 175 fürchten. Das Schreiben des Greifswalder Personalbüros zu Beginn der 1970er Jahre zeigt nun: Auch nach der Abschaffung des Paragrafen lebt eine staatliche und gesellschaftliche ‚Verdachtsstimmung‘ gegenüber Homosexuellen fort.

Homosexualität ist auch in der DDR ein Tabu. Wird sie sichtbar, gilt sie als kriminell, irgendwie verdächtig oder krankhaft. Vor allem auf dem Land gibt es keine Vorbilder, keine Informationen, keine Treffpunkte. Schwule und Lesben leben häufig sehr isoliert und halten ihre sexuelle Identität geheim.

Der staatliche Umgang der DDR mit ihren lesbischen und schwulen Bürger*innen ist durch ein Ensemble aus Duldung, Ignoranz und Repression geprägt.

Die Sozial- und Familienpolitik ist streng auf die heterosexuelle Partnerschaft und Familie ausgerichtet, etwa bei der Zuweisung von Wohnungen. Offen schwule und lesbische Lehrer*innen und Erzieher*innen werden gegenüber heterosexuellen beruflich benachteiligt. Schwule und lesbische Selbstbestimmung und Vernetzung werden als staatsgefährdend wahrgenommen, Homosexualität gilt als unvereinbar mit der sozialistischen Moral.

Selbstorganisierung

Bereits in den 1950er Jahren bilden sich private schwul-lesbische Zirkel, ab den 1970er Jahren mehren sich die Gruppen und Treffen, nimmt deren Sichtbarkeit und Vernetzung zu. Im Laufe der 1980er Jahre werden oppositionelle Arbeitskreise unter dem Dach der evangelischen Kirche ins Leben gerufen, so auch in Rostock. Daneben existieren säkulare Zusammenschlüsse, unter anderem in Greifswald, Rostock und Schwerin.

1987 wird aus den homosexuellen Arbeitskreisen heraus in Erfurt der Zentrale AIDS-Arbeitskreis gegründet – er ist von immenser Bedeutung für die Kommunikation und Prävention bezüglich HIV/Aids in der DDR.

Zumal die geschlechtergemischten Gruppen in der Regel männerdominiert sind, organisieren sich Lesben spätestens seit den 1970er Jahren teils eigenständig.

Die entstehende Lesbenbewegung ist mit der Frauen(friedens)bewegung vernetzt und entwickelt eine Gesellschaftskritik, die heterosexuelle Zwänge und das Patriarchat zusammendenkt. Auch mindestens eine trans Gruppe gibt es im Norden der DDR, nämlich in Rostock.

Die Staatsicherheit beobachtet, kontrolliert und begrenzt die Emanzipationsbestrebungen.

Zaghafter Wandel

Das schwul-lesbische Engagement bleibt nicht wirkungslos. Im letzten Jahrzehnt der DDR zeichnen sich Veränderungen in der Wissenschaft ab, auch in den Medien sind nun vereinzelt positive und emanzipatorische Darstellungen zu finden. In Teilen der evangelischen Landeskirchen und in der Partei SED mehren sich die Stimmen, die Homosexuelle als gleichwertige Bürger*innen verstanden wissen wollen.

Nach wie vor jedoch ist Homosexualität weit davon entfernt, in den Bezirken Rostock, Schwerin und Neubrandenburg – und generell in der DDR – sichtbar und anerkannt zu sein. Auch jetzt noch werden gleichgeschlechtliche Kontaktanzeigen häufig nicht abgedruckt. Schwule, die eine HIV-Infektion befürchten, trauen sich nicht, eine*n Ärzt*in aufzusuchen – mit fatalen Folgen. Und lesbisches Leben ist in der öffentlichen Wahrnehmung schlicht nicht existent. Der Weg zur Selbstfindung, zum Coming-out und zur Vernetzung bleibt hürdenreich, ganz besonders fernab größerer Städte. Manch eine*r macht sich auf der Suche nach lesbischem und schwulem Leben auf nach Ostberlin.

Die Umbruchjahre mit ihrem revolutionären Freiheitsversprechen nutzen Lesben und Schwule, um ihre politische Arbeit mit neuen Gruppen und bei Vernetzungstreffen voranzutreiben. Für die Lesbenbewegung stellt die Gründung des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV) ein wichtiges Ereignis dar: Viele Lesben werden in der Frauenbewegung, die sich als autonom vom Staat versteht, aktiv.

Figuren der Epoche

Homosexualität in der Mecklenburgischen Kirchenzeitung

Lesbische und schwule Gedenkinitiativen und staatliche Repression in der DDR

Der Rostocker Arbeitskreis Homosexualität

Blitz aus heiterem Himmel – Geschichten zum Thema Geschlechtertausch

Jugendwerkhöfe und Heime

Homosexualität im Magazin Deine Gesundheit

Homosexuelle bei Militär, Polizei und Staatssicherheit

Homosexuelle Klubs

Bianka H.

Videos

  • … viel zu viel verschwiegen – DDR-Lesbengeschichte als Dokumentarfilm
  • Der Dokumentarfilm Unter Männern – Schwul in der DDR
  • warum wir so gefährlich waren. geschichten eines inoffiziellen
    gedenkens – Interviewfilm
  • Der Spielfilm Coming Out
  • Selbstversuch – Spielfilm über einen Geschlechtswechsel
  • Der erste DDR-Fernsehbeitrag zu Homosexualität