Der Entzug von Doktor­titeln an den Universitäten Greifswald und ­Rostock

1933 – 1945
Max Beck, 1907 – [unbekannt]

Max Beck, 1907 in Heringhausen in Waldeck geboren, promoviert 1933 an der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald; seine Doktorarbeit befasst sich mit dem waldeckischen Volkslied. Nachdem er 1936 wegen eines Vergehens nach Paragraf 175 zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten verurteilt wurde, entzieht ihm die Universität im Jahr 1939 die Doktorwürde. Insgesamt erkennt die Universität Greifswald während des Nationalsozialismus neunzig Wissen­ schaftler*innen den Doktortitel ab, zehn davon aufgrund einer Verurteilung nach Paragraf 175. Die Universität Rostock ist zurückhaltender in der Umsetz­ung nationalsozialistischer Vorgaben. Auch hier jedoch werden Wissenschaftler*­innen um ihren Doktortitel gebracht, mindestens zwei infolge einer 175er-­Verurteilung.

Die Aberkennung von Doktortiteln ist im Nationalsozialismus Teil der ad­ministrativen Verfolgungspolitik. Für die Jahre 1933 bis 1945 sind bislang etwa 1 700 Fälle bekannt, in denen Hochschulen akademische Titel entzogen. Der ‚Grund‘ dafür ist meist der vorausgegangene Verlust der deutschen Staatsbür­gerschaft, dies betrifft vor allem jüdische Bürger*innen. An zweiter Stelle steht die gerichtliche Verurteilung wegen verschiedener, meist politischer Delikte: beispielsweise regimekritischer Äußerungen, des Abhörens von ‚Feindsendern‘ oder eben aufgrund homosexuellen Verhaltens gemäß Paragraf 175. Für die Be­troffenen dürfte der Verlust des akademischen Titels verheerende persönliche und berufliche Auswirkungen haben – etwa den Verlust des Arbeitsplatzes oder die soziale Ächtung.


Rehabilitierung nach 1945?
Nach 1945 kämpfen Einzelne darum, die nationalsozialistische Aberkennung der Doktorwürde rückgängig zu machen – oft erfolglos. Viele Hochschulen, auch die Greifswalder, verhalten sich zunächst passiv und verweigern die Verantwor­tungsübernahme. Häufig wird eine strafrechtliche Rehabilitierung zur Bedingung gemacht.
Der Philologe und Historiker Max Beck beantragt im März 1949, den Beschluss zur Entziehung seiner Doktorwürde aufzuheben. Sein 175er-Urteil wurde inzwi­schen durch das Hessische Justizministerium getilgt. Dennoch lehnt die Philo­sophische Fakultät der Universität Greifswald Becks Antrag ab, gestützt auf eine Stellungnahme der Landesregierung. Beck legt Widerspruch ein – ohne Erfolg. Die Tilgung des nationalsozialistischen Urteils, so die Hochschule, sei kein Be­leg für Becks Schuldlosigkeit. Die Hochschule handelt nun sogar entgegen den Empfehlungen der Landesregierung sowie des Ministeriums für Volksbildung der DDR.
Bis 1962 hebt die Universität Greifswald die Aberkennung von Doktortiteln infolge einer 175er-Verurteilung in nur zwei Fällen auf. Im Jahr 2000 rehabilitiert der Senat der Universität Greifswald 71 Akademiker_innen, darunter auch Wis­senschaftler, deren Titel infolge einer Paragraf-175-Verurteilung entzogen wur­den.
Auch in den meisten anderen Hochschulen beginnt sich erst ab den späten 1990ern etwas zu bewegen; Anstoß dazu gibt 1998 die Kultusministerkonfe­renz. Bis heute besteht ein gravierender Mangel an Forschung, hochschulinter­ner Aufarbeitung und öffentlich-politischer Debatte zur nationalsozialistischen Aberkennung akademischer Grade infolge des Paragrafen 175.